Hoffnungslos? Schlechte Chancen für Europas Solarindustrie

Zudem locken die USA mit immensen Subventionen die verbliebenen europäischen Unternehmen über den Atlantik, wie Branchenvertreter berichten. „Wenn wir in Europa mithalten wollen, brauchen wir jetzt einen energie- und industriepolitischen Doppelschlag“, argumentiert Carsten Körnig, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Solarwirtschaft.

„Ohne einen industriellen Strompreis wird eine Renaissance der Solarbranche in Europa kaum gelingen“, sagt BSW-Chef Körnig. Nach Ansicht von Körnig würde billigerer Strom allein jedoch nicht ausreichen – daher das Plädoyer für einen „Doppelboom“ bei gleichzeitiger industriepolitischer Hilfe für die Solarbranche.

Die jährliche Produktionskapazität der europäischen Solarindustrie beträgt derzeit Module mit einer Gesamtleistung von gut 8 Gigawatt. Das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme schätzt den europäischen Anteil an der Weltproduktion auf ein Prozent und den chinesischen auf 75 Prozent.

An fehlenden Absatzmöglichkeiten liegt es jedenfalls nicht. Laut Taft ist der Markt groß genug, um eine europäische Photovoltaikindustrie mit einer Kapazität von 30 Gigawatt aufzubauen.

Abgesehen von günstigerem Strom bieten die USA Solarunternehmen im Rahmen des Inflation Reduction Act große Steuervorteile. Da es in Europa keine vergleichbaren Anreize gibt, steht für Solarunternehmen derzeit außer Frage, wo das Geld besser angelegt wäre.

Asiatische Hersteller hätten sich mit besseren Rahmenbedingungen und einem großen Produktionsvolumen einen Wettbewerbsvorteil verschafft. „Aber wir haben immer noch einen technologischen Vorsprung“, sagt der Manager. „Ein Produkt „made in Europe“, bei dem wir volle Transparenz über die Lieferkette haben, bei dem wir grünen Strom nutzen können, würde meiner Meinung nach bei vielen Endkunden gut ankommen.“

Ziel der EU im Rahmen ihres Green Deals ist es, dass die heimische Solarindustrie bis 2030 wieder Module mit einer Leistung von 30 Gigawatt produzieren soll. Doch laut einer Analyse der Unternehmensberatung PWC produziert allein der größte chinesische Hersteller Jinko derzeit 45 Gigawatt. Laut Jinko-Website lag die Kapazität Ende 2022 mit 70 Gigawatt bereits deutlich höher. Bis Ende dieses Jahres sollen es 90 Gigawatt sein. Der Konzern hat für das erhoffte schnelle Wachstum in den kommenden Jahren vorgesorgt und baut seine Kapazitäten offenbar schneller aus als die gesamte europäische Industrie.

„Wir wollen unsere Lieferketten regional diversifizieren“, sagt Matthias Taft, CEO von Baywa RE, einem großen Projektentwickler von Solarkraftwerken. „Daran besteht ein übergreifendes Interesse – nicht nur von uns als Entwickler, sondern auch von Herstellern oder Stromversorgern.“ „Wir wollen uns entlang der gesamten PV-Wertschöpfungskette breiter aufstellen.“

„Die Asiaten haben sich in den letzten Jahren einen Skalenvorteil bei der Herstellung von Solarzellen und Solarmodulen erarbeitet“, sagt Körnig. „Die USA wollen mit dem Inflation Reduction Act auch Solar-Gigafabs ins eigene Land bringen.“ Skalierung bedeutet, dass ein Unternehmen umso günstiger produzieren kann, je mehr es produziert: Eine große Fabrik produziert in der Regel günstiger als eine kleine.

Nach einer groben Formel liegen die europäischen Kosten laut einem Experten etwa doppelt so hoch. „Wir sind viel teurer als die Chinesen“, sagte Masson. „Es geht nicht nur um Investitionen und Betriebskosten, sondern um mangelnde Wettbewerbsfähigkeit.“

Ein Solarfeld in Schleswig-Holstein. Axel Heimken/dpa

Allerdings besteht in der Branche Konsens darüber, dass eine Renaissance der europäischen Solarindustrie ohne staatliche Förderung und Unterstützung nicht möglich sein wird. „Um in der Branche wettbewerbsfähig zu werden, braucht es allerdings planbare finanzielle Anreize“, sagt Taft – und verweist auf den US-amerikanischen Inflation Reduction Act.

Gleichzeitig sagen fast alle beteiligten Manager, dass sie gerne mehr europäische Module produzieren oder bestellen würden. Insbesondere die Abhängigkeit von chinesischen Importen empfindet niemand als Glück.

Bei der Herstellung eines Solarmoduls gibt es fünf Hauptproduktionsschritte: Polysilizium, das Grundmaterial von Photovoltaikzellen, wird aus Quarzsand hergestellt. Das Polysilizium wird zu Ingots geformt, die in hauchdünne Scheiben zersägt werden, damit die Photovoltaikzellen hergestellt und am Ende das Modul zusammengebaut werden können. Insbesondere die ersten Produktionsschritte sind sehr energieintensiv. Die Produktion in Europa wird durch die Strompreise verteuert.

„Wenn nichts zum Schutz der europäischen Modulhersteller getan wird, wird hier niemand investieren“, resümierte Gunter Erfurt, CEO des Modulherstellers Meyer Burger, auf der Intersolar. Im Vergleich zu außereuropäischen Wettbewerbern befindet sich die heimische Industrie in der Situation eines „Trabi mit kaputtem Motor“.

Selbst wenn die Kosten für Personal, Energie oder Vorprodukte ansonsten vergleichbar wären, können Unternehmen wie Jinko allein aufgrund ihrer Skaleneffekte günstiger produzieren als kleinere Wettbewerber. „Seit 2011 hat China über 50 Milliarden US-Dollar in neue Photovoltaik-Versorgungskapazitäten investiert – zehnmal mehr als Europa – und 300.000 Fertigungsarbeitsplätze in der solaren Wertschöpfungskette geschaffen“, heißt es in einem Bericht der Internationalen Energieagentur vom November.

Beim Ausbau der Solarenergie ist die EU stärker auf China angewiesen als früher bei Gaslieferungen aus Russland.

Die Produktionskosten von Solarmodulen werden in Cent pro Watt elektrischer Leistung angegeben. Nach Branchenangaben wird die chinesische Solarindustrie auf 17 bis 18 US-Cent pro Watt geschätzt. Das chinesische Ziel für 2025 liegt bei 15 Cent, wie der französische Unternehmer und Solarexperte Gaetan Masson auf der Messe Intersolar in München berichtete. „Wenn die Chinesen so etwas sagen, tun sie es auch.“

Der Wiederaufbau der Solarindustrie stellt Europa derzeit vor Herausforderungen. Nach Angaben der Branche sind die Hürden nahezu unüberwindbar, da insbesondere chinesische Hersteller immense Kosten- und Größenvorteile haben. Die Ziele des EU-Green Deals können daher nur mit konzertierter Unterstützung erreicht werden.

18.06.2023 | aktualisiert am 18.06.2023 – 06:32 Uhr