Zahl der Totgeburten in Deutschland auf Rekordhoch: Experten rätseln über die Ursache

Kuhbandner und Reitzner halten es für notwendig, mögliche Zusammenhänge zwischen Totgeburten und Corona-Impfungen und Infektionen genauer zu untersuchen. Andernfalls wäre es für Reitzner ein „politischer Skandal“.

Die Zahl der Totgeburten in Deutschland steigt seit 2007 kontinuierlich an. Im Jahr 2021, dem zweiten Corona-Jahr, war der Anstieg besonders stark.

Lütje findet es bemerkenswert, dass es zu Beginn des Jahres 2022 – ziemlich genau neun Monate nach Beginn der Corona-Impfkampagne – einen deutlichen Geburtenrückgang gab. Auch das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung spricht von einem „Einbruch“ der Geburtenrate. Das Institut erklärt, dass Frauen mit Beginn der Impfkampagne im Frühjahr 2021 ihren Kinderwunsch zunächst zurückgestellt hätten. Forschungsleiter Martin Bujard hält es für „plausibel, dass einige Frauen sich impfen lassen wollten, bevor sie schwanger wurden“. Auch im ersten Quartal 2023 blieb die Zahl der Geburten im Vergleich zum Vorjahresquartal auf niedrigem Niveau, wenngleich sich der Rückgang abschwächte.

Die Zahl der Totgeburten ist in Deutschland stark gestiegen. Thomas Trutschel/imago

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wurden im Jahr 2021 3.420 Kinder tot geboren. Das war ein Anstieg von 7,5 Prozent im Vergleich zu 2019, als 3.180 Kinder tot geboren wurden.

Im Jahr 2007 wurden in Deutschland 3,5 Kinder pro 1.000 Geburten tot geboren. Im Jahr 2021 waren es mit 4,3 Totgeburten pro 1.000 Geburten deutlich mehr. Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen bis zum Jahr 2020 einen leichten Anstieg. Im Jahr 2021 gab es hingegen einen Sprung im Vergleich zu den beiden Vorjahren. Ein Kind gilt als „tot geboren“, wenn es bei der Geburt mindestens 500 Gramm wog oder mindestens in der 24. Woche schwanger war.

Christof Kuhbandner, Professor für Psychologie in Regensburg, und Matthias Reitzner, Professor für Mathematik in Osnabrück, entdeckten besorgniserregende Risikosignale. Anders als das Statistische Bundesamt vergleichen sie in ihren Analysen die Zahl der Totgeburten in einem Quartal mit den Geburten im nächsten Quartal. Mit dieser Methode stellten sie einen extremen Anstieg der Totgeburten um 19,4 Prozent im vierten Quartal 2021 fest. Ihrer Studie zufolge wird die Totgeburtenrate auch im Jahr 2022 „ungewöhnlich hoch“ bleiben. Die Studie der beiden Forscher wurde im Mai in der medizinischen Fachzeitschrift Cureus veröffentlicht.

04.07.2023 | aktualisiert am 04.07.2023 – 08:56 Uhr

Die Gynäkologin und Psychotherapeutin kritisiert, dass viele Schwangere verlernt hätten, auf sich selbst zu hören und die Bewegungen ihres Kindes wahrzunehmen. Wer kein Gefühl für das Kind im Mutterleib hat, bemerkt Auffälligkeiten oft erst zu spät und sucht dann entsprechend spät Hilfe. Im schlimmsten Fall könnte dies für das ungeborene Kind tödlich enden.

Was sind die Ursachen für den besorgniserregenden Anstieg der Todeszahlen? Antworten sind schwer zu finden. Nicht einmal der Berufsverband der Frauenärzte kann Erklärungen beisteuern: „Andere Daten als die Erhebungen des Statistischen Bundesamtes liegen uns nicht vor“, sagte Pressereferentin Anna Eichner dem Evangelischen Pressedienst (epd). Aufschlussreicher ist eine Anfrage der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Gynäkologie und Geburtshilfe (DGPFG). DGPFG-Präsident Wolf Lütje nennt „mögliche Ursachen“.

Ein Grund könnte die zunehmende Zahl künstlicher Befruchtungen sein, sagt der ehemalige Chefarzt der Frauenklinik am Evangelischen Amalie-Sieveking-Krankenhaus in Hamburg. Zudem kam es während der Corona-Krise, die in Deutschland im März 2020 begann, zu vermehrten Kaiserschnitten. Diese erhöhen laut der Gynäkologin das Risiko einer Totgeburt. Lütje verweist auch auf die 2022 von der Deutschen Gesellschaft für Perinatalmedizin veröffentlichte Cronos-Registerstudie zu Covid-19 in der Schwangerschaft: Demnach sei die Rate der Totgeburten bei Frauen, die mit dem Coronavirus infiziert waren, gestiegen.

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