Konkurrierende Lager vereint: Bulgarien bekommt eine pro-westliche Regierung

Das neue Regierungsbündnis in Sofia polarisiert unter den Bulgaren. Nach gegenseitigen Korruptionsvorwürfen hatten beide Lager geschworen, niemals eine Koalition zu bilden. „Alle Verhandlungsführer der Regierungsgespräche müssen gelobt werden“, sagte der Sozialforscher Haralan Aleksandrov zur Bildung einer regulären Regierung. Doch Kritiker bezeichnen das Bündnis der beiden Erzfeinde als „Vernunftehe“, „Schande“ und „Regierung der US-Botschaft“. Die Abstimmungen im Parlament wurden von Protesten begleitet.

Das EU- und NATO-Mitglied Bulgarien hat nach Monaten der politischen Krise nun eine prowestliche Regierung. Nach der fünften Parlamentswahl innerhalb von zwei Jahren bestätigte die Volksversammlung eine reguläre Regierung. Dies ersetzt das Übergangskabinett, das Präsident Rumen Radev vor den Neuwahlen am 2. April eingesetzt hatte. Beobachter erwarten von der neuen Regierung, dass sich das südöstliche EU-Land seinen westlichen Verbündeten konsequenter in der Unterstützung der Ukraine anschließen wird.

Mit ihrem Bündnis wollten GERB-SDS und PP-DB den Einfluss von Staatschef Radew auf die bulgarische Politik begrenzen. Sie selbst begrenzten die Amtszeit der neuen Regierung auf zunächst 18 Monate. Aber selbst diese vergleichsweise kurze Regierungszeit lässt manche bereits zweifeln. „Diese Regierung wird nicht lange halten“, prognostizierte der prorussische Vasraschdane-Führer Kostadin Kostadinow. Für den Fall einer sechsten Parlamentswahl in Folge prognostizieren Soziologen ein noch besseres Wahlergebnis für die nun drittstärkste Partei. Allerdings scheint diese Option vorerst vom Tisch zu sein.

Die neue Regierung schreibt in dem Balkanland mit einer Neuheit Geschichte, die einen Kompromiss zwischen den rivalisierenden Lagern ermöglicht hat: Nach neun Monaten soll der Posten des Ministerpräsidenten wechseln. Nach Denkow wird die ehemalige EU-Kommissarin Maria Gabriel (GERB) die nächste Regierungschefin. Bis dahin ist der 44-Jährige Vizepremierminister und Außenminister. Sie ist die einzige Vertreterin von GERB-SDS in dieser Regierung. Es gibt keinen Koalitionsvertrag, sondern nur ein „Gentlemen’s Agreement“, wie beide Seiten oft betonen.

Der neue Verteidigungsminister Todor Tagarev gilt als überzeugter Atlantiker und „politischer Falke“. Gleich nach seinem Amtsantritt sagte Tagarew, Bulgarien müsse der Ukraine helfen, damit sie ihre Gegenoffensive fortsetzen und die von Russland besetzten Gebiete befreien könne. Beobachter erwarten von ihm eine konsequentere Unterstützung der Ukraine – in Bulgarien etwa wird die für die Ukraine dringend benötigte Munition hergestellt. Ein Konflikt zwischen der neuen Regierung und Staatschef Radew scheint unausweichlich: Der ehemalige Kampfjet-Pilot und Chef der Luftwaffe gilt als pro-russisch und kritisiert die pro-ukrainischen Parteien im Land als „Kriegstreiber“.

Der 60-jährige Physikochemiker Nikolaj Denkow (PP) wurde mit einer Mehrheit von 132 Abgeordneten aus den Reihen des Wahlsiegers GERB-SDS und des zweitplatzierten Blocks PP-DB zum Ministerpräsidenten gewählt. Die Regierung selbst wurde mit 131 Stimmen bestätigt. In der Opposition stehen die prorussischen Sozialisten, die prorussische und nationalistische Partei Vasrashdane (Wiedergeburt) und die systemkritische ITN.

06.06.2023 | aktualisiert am 06.06.2023 – 19:54 Uhr

Nikolaj Denkov ist der neu gewählte Ministerpräsident Bulgariens.Valentina Petrova/dpa

„Vernunftehe“ in Bulgarien: Zwei Ministerpräsidenten sollen sich an der Spitze ablösen. Das neue Bündnis hat innenpolitische Baustellen. Aber sie wird der Ukraine wahrscheinlich mehr Unterstützung geben.

Der neu gewählte Denkow skizzierte die wichtigsten Anliegen seiner Regierung: Korruptionsbekämpfung und Justizreform sowie den Beitritt Bulgariens zum grenzfreien Schengen-Raum und zur Eurozone. Finanzminister vor der für 2025 geplanten Einführung des Euro ist der PP-Co-Vorsitzende Assen Wassilew, der dieses Ressort bereits in der 2022 gestürzten Regierung geleitet hatte.