Schaulustige unterhalten sich mit Prigoschins Söldnern in Rostow

Rund eine Million Einwohner der Stadt im Süden Russlands geraten zwischen die Fronten. Bisher fiel noch kein Schuss – doch nun treffen Kadyrows Truppen ein.

Im Gegensatz zu anderen Großstädten weiter von der Frontlinie hat die Stadt mit rund einer Million Einwohnern bereits die Auswirkungen der russischen Offensive in der Ukraine zu spüren bekommen. Bei einem Brand in einem FSB-Gebäude kam im März eine Person ums Leben, außerdem war die Region in den letzten Monaten Ziel mehrerer Drohnenangriffe.

Doch es gibt auch Kritik. Einige Wagner-Söldner werden angegriffen, es kommt zu Diskussionen und Handgreiflichkeiten. Zeugenvideos zeigen Wagner-Söldner bei Deeskalationsversuchen. Ob dies immer gelingt, ist unklar.

Passanten bleiben stehen, um die Militärfahrzeuge, darunter Lastwagen, und die Männer mit silbernen Armbändern und Gewehren zu inspizieren. Nach Angaben von Wagner-Chef Prigoschin mussten seine Männer am Samstag keinen einzigen Schuss abgeben, um das Hauptquartier der russischen Armee in Rostow zu übernehmen. Er versichert, insgesamt rund 25.000 Kämpfer zu haben. „Wir sind alle bereit zu sterben. Alle 25.000 und dann noch einmal 25.000“, sagte er in seiner Audiobotschaft und fügte hinzu, dass die Maßnahme „für das russische Volk“ ergriffen werde

Am späten Nachmittag gab der tschetschenische Führer Ramsan Kadyrow bekannt, dass er seine Truppen in „Spannungsgebiete“ in Russland geschickt habe. Tatsächlich tauchten wenige Stunden später in sozialen Netzwerken Videos auf, die unter anderem die Ankunft von Lastwagen voller schwer bewaffneter Soldaten in Rostow zeigten.

Die nur rund 100 Kilometer von der Grenze zur Ukraine entfernte Hafenstadt wurde im 18. Jahrhundert gegründet und beherbergt das Hauptquartier des russischen Militärkommandos Süd.

Das sind die besten. „Lass mich durch – ich bin ein Zuschauer!“ #Rostow #Russland pic.twitter.com/zfcPFWG7Zt

Das Heulen der Sirenen von Krankenwagen und Polizeifahrzeugen drang am Samstag durch Rostow am Don, die südrussische Stadt, von der aus die russische Führung ihre Offensive in der Ukraine koordiniert. Nun wollen die Söldner der Wagner-Gruppe unter ihrem Chef Jewgeni Prigoschin die Kontrolle über die Stadt und alle ihre militärischen Einrichtungen übernommen haben. Und die Wagner-Kämpfer wollen von dort aus die Militärführung in Moskau stürzen.

Die Rostower bekommen einen hautnahen Einblick in die Mission der Wagner-Söldner. Sergey Pivovarov/Imago

Regionalgouverneur Wassili Golubew rief die Bevölkerung dazu auf, ihre Häuser nur in Notfällen zu verlassen. Die Sicherheitsbehörden würden „alles Erforderliche tun, um die Sicherheit der Bewohner zu gewährleisten“. Er forderte die Bewohner außerdem auf, die Autobahn M4, die Hauptverbindung zwischen Moskau und Südrussland, nicht zu benutzen. Teile der Autobahn wurden gesperrt und es bildeten sich lange Staus.

Im Laufe des Samstags gab es Berichte, dass die Wagner-Söldner in der Region Woronesch, rund 600 Kilometer von Moskau entfernt, von der russischen Armee bekämpft würden. Nach Angaben der örtlichen Regionalverwaltung befanden sich Wagner-Truppen am Nachmittag bereits rund 400 Kilometer von Moskau entfernt in der Region Lipezk südlich der Hauptstadt. Auch der dortige Landeshauptmann warnte die Bevölkerung: „Ich möchte Sie daran erinnern, dass den Bewohnern dringend davon abgeraten wird, ihre Häuser zu verlassen und keine Fahrten mit irgendwelchen Verkehrsmitteln zu unternehmen.“

An einer großen Kreuzung im Stadtzentrum sind ein gepanzertes Fahrzeug mit einem Maschinengewehr und etwa ein Dutzend Männer in Militäruniformen mit silbernen Armbinden zu sehen. Gepanzerte Mannschaftswagen und Panzer seien anderswo in der Stadt stationiert – unter anderem vor einem Spielzeugladen und einem Zirkus, berichten Stadtjournalisten. Viele Bürger suchen Gespräche mit Prigozhins Söldnern. Hände werden respektvoll geschüttelt, andere bedanken sich dafür, dass sie gegen Putin Stellung beziehen. Gelegentlich werden an einige Kämpfer Getränke und Snacks verteilt.